Preisschock! Oder?

Ich muss Beichte tun. Im letzten Newsletter vor rund einem Monat hab ich hier gehörigen Mist erzählt. Ich habe nämlich geschrieben, dass die ÖBB-Preise für alle untersuchten Linien gleich bleiben. Ich kam zu dieser Einschätzung, da ich fälschlicherweise annahm, dass die Preise spätestens seit Ende Oktober festgelegt waren. Das kann man aus zwei Perspektiven begründen: Ich habe keine Ahnung vom Bahngeschäft. Oder aber: Die ÖBB haben uns etwas vorenthalten.

Tatsächlich ging ich, wohl wie die meisten, davon aus, dass die Preise im Nachtzugverkehr mit dem Fahrplanwechsel ähnlich bleiben würden. Es kam dann bekanntlich anders. Und wie: Die ÖBB, die in Europa faktisch ein Nachtzug-Monopol haben, führen ohne Ankündigung oder Begründung dynamische Preise ein. Und die haben es in sich. Das zeigt eine erste Auswertung, die Du hier nachlesen kannst.

Wie funktionieren diese dynamischen Preise denn eigentlich?

Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Von Seiten ÖBB sickern nur tröpfchenweise Infos durch. Einige Ausgestaltungsmöglichkeiten:

• Preise variieren nach Kalenderdatum, basierend auf historischen Nachfrage-Daten. Das würde beispielsweise bedeuten, dass es an Ostern oder generell an verlängerten Wochenenden teurer ist, weil dort die Nachfrage historisch gesehen hoch ist. Aktuelle Ticketkäufe hätten darauf keinen Einfluss. Meine Einschätzung: Unwahrscheinlich, da zu wenig flexibel.
• Preise variieren nach Abfragefrequenz. Je häufiger eine Abteilart / ein Kalenderdatum gesucht wird, desto höher der Preis – unabhängig davon, ob auch effektiv gebucht wird. Eine der wenigen, tröpfchenweise abgesonderten Informationen der ÖBB deutet tatsächlich darauf hin. Gegenüber dem österreichischen Standard gaben sie nämlich zur Auskunft: «Aktuell sind beim Fahrplanwechsel kurzfristig durch sehr viele Preisabfragen die ausgewiesenen Preise im System hochgeschossen.» Meine Einschätzung: Das wäre ziemlich... fragwürdig. Denn dann könnten alle mit ein bisschen Tech-Kenntnissen die Preise künstlich hochtreiben (richtig erkannt: Dann würde auch night-ride.ch zu höheren Preisen beitragen, weil es ja kontinuierlich Preisabfragen tätigt). Ich kann mir das schlichtweg nicht vorstellen und gehe jetzt einfach mal von einer fehlerhaften Kommunikation aus.
• Preise variieren nach effektiven Ticketkäufen. Je mehr gekauft wird, desto höher steigen die Preise. Das hiesse, dass ein Ticket für ein gegebenes Abteilart und Kalenderdatum zu unterschiedlichen Zeiten zu unterschiedlichen Preisen feilgeboten würde. Meine Einschätzung: Die plausibelste Option. Und aktuell hat man dazu halt noch zu wenig Daten, um das System «fair» auszutarieren. Deswegen wurden Schlafwagen deutlich teurer, weil diese historisch gesehen einfach viel stärker nachgefragt werden als Liegewagen. Dazu auch die ÖBB im Standard (sic): «In den nächsten Tagen wir das System die Preise wieder kalibrieren, und es ist mit wieder deutlich günstigeren Angeboten zu rechnen.»

Oder: Ein Mix aus allem. Auch möglich. Und Leute auf iOS bezahlen ein bisschen mehr, weil die kaufkräftiger sind. Spass bei Seite: Wir wissen es schlichtweg nicht. Solange die ÖBB nicht transparent kommunizieren, können wir nur spekulieren. Oder «reverse engineering» betreiben, das heisst: Anhang von gesammelten Daten versuchen, den Mustern auf die Schliche zu kommen.

Mein Versprechen an Dich: Genau das will ich tun, um hoffentlich schon in wenigen Tagen oder Wochen ein bisschen Klarheit in die Sache zu bringen. Spätestens dann werden wir sehen, ob die Preise wirklich runter gehen, wie die ÖBB behaupten.

Eine kleine Presseschau

Da ich am letzten Sonntag mehr oder weniger der erste war, der über die höheren (und dynamischeren) Preise berichtet hat, wurde night-ride.ch in den Medien eine hohe Aufmerksamkeit zuteil. Hier ein kleiner Zusammenschnitt:

• Tages-Anzeiger (Abo): Schweizer Routen betroffen – Nachtzüge werden deutlich teurer
• Watson: ÖBB erhöht Nachtzug-Preise still und heimlich drastisch – Schweizer Linien betroffen
• Schweizer Radio und Fernsehen SRF (da kannst Du die Stimme hinter night-ride.ch hören!): Preise für Nachtzüge werden stark erhöht – bis zu 200 Prozent
• Der erwähnte Standard: Mitunter fast verdreifacht: ÖBB hob Preise für Nachtzüge an
• ORF: Heimliche Preiserhöhung: Nachtzüge teilweise dreimal teurer
• zdopravy.cz: Přes tisíc eur za cestu lůžkovým vozem. Rakouské dráhy prudce zdražily

Also: Ihr dürft gespannt bleiben. Bald gibt es auf night-ride.ch eine weitere Auswertung zu den neuen Preisen. Und klar ist: Ein Feature zur besseren Auffindbarkeit von «günstigen» Daten hat gerade noch höhere Priorität gewonnen.

Aus dem Maschinenraum

Aktuell bin ich daran, die Programmierschnittstelle (API), die die Preise ans Frontend liefert, zu «modernisieren». Der erste Wurf war ziemlich zusammengehackt, die Verbesserungen werden die Wartbarkeit und Performance erhöhen. Gleichzeitig bin in an der Integration der neuen SBB-Buchungsplattform, damit bald wieder Preise der SBB eintrudeln – und verglichen werden können. Und falls Ihr es noch nicht gemerkt habt: Die Anzeige der verfügbaren Tickets inkl. Preisen dauerte in den letzten Wochen teils bedeutend länger. Das ist, weil meine Datenbank mittlerweile mehrere Millionen von Preisen enthält – auch hier gibt es dringenden Optimierungsbedarf. Die Arbeit geht mir also nicht aus.

Danke fürs Lesen, bis bald, und gute Reise!

Timo

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